Xenophobie

Xenophobie wird im allgemeinen Sprachgebrauch synonym mit den Begriffen Ausländer- bzw. Fremdenfeindlichkeit verwendet. So wie letztere wird Xenophobie insofern gerne benutzt, als man damit das schwere Geschütz des Rassismus-Vorwurfs umgehen kann. Im Vergleich zu Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit erscheint Xenophobie als Beschreibung ebenfalls milder. Schließlich beschreibt sie die Ablehnung von Fremden (griechisch: ξένος) nicht als „Feindlichkeit“, sondern als „Angst“ (Phobie).

Xenophobie teilt die Schwächen seiner Synonyme. Wie bei Ausländer- bzw. Fremdenfeindlichkeit richtet sich die Aversion dem reinen Wortsinn nach „nur“ gegen Fremde. Also auf Menschen, die eine fremde Staatsbürgerschaft haben und eingewandert sind bzw. nur vorübergehend im Land bleiben. Bekanntermaßen sind jedoch eine Vielzahl von Personen – welche de facto nicht fremd sind – von dem betroffen, was mit Xenophobie oder Fremdenfeindlichkeit beschrieben wird: People of Color, Menschen mit Migrationshintergrund, Angehörige einer nicht-christlichen Religion etc. Dass sie von hier sind, schützt sie mitunter nicht vor pauschaler, gruppenbezogener Ablehnung. Entscheidend ist allein die Perspektive derer, die sie für fremd halten.
Xenophobie et al. sind aber nicht nur inadäquat, weil davon vielfach Einheimische betroffen sind. Ebenso gibt es viele Menschen, die in der Tat Ausländer*innen sind, doch hierzulande niemals mit Anfeindungen aufgrund ihrer Fremdheit konfrontiert sind. Ein „typischer“ Brite oder eine Frau nach schwedischem Vorbild, welche unter Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit leiden, besitzen absoluten Seltenheitswert.
Ein spezifisches Problem mit dem Begriff der Xenophobie besteht darüber hinaus darin, dass dieser – wie eingangs beschrieben – Abneigung oder Feindseligkeit als „Angst“ umschreibt. Während das Wort „Feindlichkeit“ klar negativ konnotiert ist, ist dies bei „Angst“ nicht der Fall. Angst kann begründet sein oder nicht. Xenophobie sagt nichts darüber aus, ob eine xenophobe Person, ihre Angst zu Recht hat. Es könnte sich bei den „Xeni“ ja um derart üble Gesellen handeln, dass man gar nicht anders kann, als sich vor ihnen zu fürchten.
Nun soll nicht bestritten werden, dass Angst ein wesentliches Element jeglicher Form von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit darstellt. Jedoch scheint es verfehlt, die Phobie in den Vordergrund zu stellen und den aggressiven Charakter von Xenophobie auszublenden.1

Das zentrale Problem an den Begriffen Xenophobie, Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit ist allerdings weniger der Umstand, dass sie das, was sie bezeichnen sollen, nicht akkurat beschreiben. Das Hauptproblem liegt darin, dass sie auf diskrete Weise das Trugbild einer zweigeteilten Gesellschaft stützen: hier „wir“, dort „die Anderen“. Wenn Fremdenfeindlichkeit et al. problematisiert werden, bezieht sich die Kritik auf den Aspekt der Feindlichkeit. Die zugrundeliegende Vorstellung, dass zwischen Einheimischen und Fremden eine Grenze gezogen werden kann, wird dabei jedoch nicht angetastet. In der Realität der postmigrantischen Gesellschaft ist diese Grenze jedoch schwer auszumachen. So kommt es, dass einheimische Menschen mit Migrationshintergrund als nicht-zugehörig etikettiert werden, obwohl sie von hier sind. Feindseligkeit ihnen gegenüber als Fremdenfeindlichkeit oder ähnliches zu bezeichnen, platziert sie außerhalb der imaginierten Wir-Gruppe.

Empfohlene Wortwahl
Die passendsten Begriffe, um die kategorische Ablehnung und Herabwürdigung von Menschengruppen zu beschreiben, bleiben Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Letztere meint genau das, was allgemein unter Ausländer- bzw. Fremdenfeindlichkeit und Xenophobie verstanden wird, vermeidet jedoch die Schwächen dieser Begriffe; wenn besonders kompromisslose und radikale Formen von Menschenfeindlichkeit benannt werden sollen, erweist sich Rassismus als adäquate Beschreibung.
Der entscheidende Vorteil von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Rassismus ist folgender: Sie nehmen die richtige Perspektive ein.
Was ist damit gemeint: Worte wie Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie etc. stellen einen Bezug zu einer spezifischen Gruppe her. Dies ist selbsterklärend und nicht prinzipiell falsch. Doch will man zum Kern der Sache vordringen, müssen die Betroffenen aus dem Fokus genommen werden. Denn sie sind austauschbar. Alle möglichen Minderheiten können zum Opfer von pauschaler Herabwürdigung und Diskriminierung werden. Und keine einzige davon kann etwas dafür, dass sie angefeindet wird. Es ist stets und allein der Rassist, der verantwortlich ist für die Feindseligkeit, die von ihm ausgeht.
Spricht man von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder Rassismus, wird eher klar, wo das Problem liegt. Die Begriffe fokussieren auf den Verursacher und erschweren die Möglichkeit, der Opfergruppe implizit eine Mitverantwortung zuzuschreiben. Wie gezeigt wurde, erlaubt gerade der Phobie-Begriff eine Interpretation in diese Richtung.
Der zweite Aspekt hinsichtlich der Perspektive ist folgender: Die beiden Begriffe sind vorzuziehen, da sie einen universalistischen Blickwinkel einnehmen. Die Anfeindungen, denen Menschen aufgrund ihrer (vermeintlichen) Gruppenzugehörigkeit ausgesetzt sind, knüpfen an wechselnden Merkmalen an. Im einen Fall ist es die Hautfarbe, im anderen die Herkunft, dann wieder die Religionszugehörigkeit. Der zugrundeliegende Ausgrenzungsmechanismus ist dabei stets derselbe: Menschen werden auf Grundlage von (zugeschriebenen) Eigenschaften abgelehnt, an denen sie nichts ändern können – und die nichts oder nur sehr wenig mit ihrer Persönlichkeit zu tun haben. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rassismus umfassen sämtliche Erscheinungsformen dieses Mechanismus. Sie vermitteln eher, dass die Diskriminierungserfahrung für sämtliche Opfergruppen im Prinzip die gleiche ist.
Da sie keine spezifischen Minderheiten im Wort tragen, fehlt ihnen auch das tendenziell relativierende Moment. Die Ausgrenzung trifft eben nicht „nur“ Ausländer, Muslime, Juden, Schwarze oder Roma und Sinti. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rassismus deuten richtigerweise an, dass es jeden treffen kann.

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1 Das gleiche gilt für den Begriff der Islamophobie. Diese beschreibt bekanntlich die pauschale Ablehnung und Abwertung von Muslimen. Gerade angesichts der Virulenz des muslimfeindlichen Diskurses zeigt sich, dass es in der Tat euphemistisch ist, diesbezüglich von „Phobie“ zu sprechen.